WIR FÜR MG - Obdachlosenhilfe Mönchengladbach e.V.

 

Es ist Samstag 9.30 Uhr und die Sonne schafft es ganz langsam das Glatteis von der Straße zu verdrängen. Ein frostiger Morgen, der sich nach im Bett bleiben anfühlt. Gemütlich kalt, solange man nur drinnen bleibt.

 

Es bleibt aber niemand drinnen, im Gegenteil. 

Bereits beim Abbiegen durch die Unterführung wird klar, so leer wie die Stadt jetzt noch ist, so emsig ist ihr Treiben in dieser Straße. 

Es warten bereits Menschen auf Einlass vor der Ausgabestelle von WIR für MG. Ein Ort der surreal wirkt in dieser klirrenden Kälte. Überall beobachtet man Menschen die voll bepackt oder mit zu wenig Kleidung am Leib die Straße passieren. An der Türe der Ausgabestelle sitzt eine ältere Dame mit ihrem in einen Strickpullover gehüllten Hund. Die griechische Renterin hat ihren Cookie vor 5 Jahren von der Straße gerettet und strahlt, wenn sie von ihrem Gefährten und sich erzählt. Ihre großen weißen Zähne glänzen im klirrend kalten Sonnenlicht. Sie würde angerufen, wenn Ausgabetage sind, das fände sie super und betont die große Hilfsbereitschaft des Vereins und seiner Mitglieder. 

 

 

Der Einlass wird ganz klar geregelt, maximal zwei Frauen und zwei Männer zur gleichen Zeit, um den Überblick zu behalten. Die Türe öffnet sich und der Türsteher Jannik bittet die nächste Dame hinein. 

Jannik ist neun Jahre alt, Ehrenmitglied des Vereins und trägt eine bunte Mütze. 

Die Ernsthaftigkeit in seinem Tun und seine absolut vorurteilsfreie, herzliche Art begeistern hier jeden. 

Niemand, der Jannik nicht kennt. Sabine Münch steht Jannik dabei zur Seite, ebenfalls eine der Helferinnen die später kleine Glücksbringer verteilt, alle selbstgemacht. 

 

Die Menschen sind freundlich, kaum jemand dem kein guten Morgen über die Lippen käme. "Guten Morgen" eine einfache Aussage die man hier bei so vielen Menschen infrage stellen könnte. 

Wie schön kann der Morgen sein, wenn man bei -5 Grad in der letzten Nacht auf der Straße schlief. 

Dennoch, die Stimmung ist gut, losgelöst, wie ein Morgen auf dem Wochenmarkt wo man den bekannten Gesichtern begegnet. 

 

An der nächsten Tür ein laminierter Zettel „Tierbedarf“, gefolgt von dem Herzstück der Ausgabe, der Küche. 

Hier lagern Lebensmittel und Konserven, alles was auch beim Kältebus mitkommt. In der Ecke sind alte Bussitze zu einer Sitzecke zusammengestellt, große Spendennachweise gesammelt. Überwacht wird all das von einem großen Bild eines American Indians. Früher war die Annahmestelle eine Obdachlosenunterkunft und einer der Bewohner hat ihn selbst über Jahre an die Wand gemalt. Als der Verein die Räume übernahm und sie renoviert hat haben sie sich entschieden dieses Bild als Erinnerung an der Wand zu behalten. 

 

 

 

 

Die engen Gänge ohne Sonnenlicht wirken Trist, sind aber voller Leben durch die Akteure in ihnen. 

Die Ausgabestelle besteht aus verschiedenen Räumen in denen unterschiedliche Stationen untergebracht sind. 

In der ersten Türöffnung sind Jacken ausgehangen, Michelle Greiner ist noch hochkonzentriert auf der Suche nach passenden Mänteln. Sie koordiniert die Ausgabe der Herrenkleidung. „Ich möchte nicht in Tüten wühlen und wahllos Jacken herausziehen. Ich bereite hier vorher meinen kleinen Aushang vor und sortiere passende Sachen. Es ist wichtig, dass ich die Menschen beraten kann und ihnen eine schöne Auswahl anbieten kann. Jeder soll hier selbst entscheiden.“. 

Als wenig später der erste Mann in Michelles Boutique beraten wird zeigt sich was sie meint. Mit Inbrunst und einem breiten grinsen Smalltalked sie mit dem Mann der sich später für eine Allwetterjacke entscheidet und noch passende Handschuhe dazu bekommt. Die dickeren Handschuhe winkt er ab, viel zu wenig Bewegungsspielraum, nachvollziehbar. 

 

 

 


Vorbei an Jackenständern und Lagerräumen gelangt man, begleitet von Katja Knübben, in die Ladies Boutique. Ein Raum voller Dekoartikel, Haarfärbemittel, Pullovern, Hosen und Nagellacken. 

Hier ist etwas besonders wichtiges entstanden, sagt Katja: „Es ist unsere kleine Boutique, hier können die Frauen ganz in Ruhe stöbern und bummeln, Entdeckungen machen. Wir möchten hier ein Stück Freiheit zurückgeben. Wir Mädels shoppen doch alle gerne, das möchten wir auch unseren Leuten ermöglichen.“

Sie wirkt stolz, wenn sie von ihrem Verein und alledem erzählt was sie da tun. Genau wie alle Anderen hier. 

Nicht darauf, dass sie das tun, sondern auf das was sie damit bewirken. 

Abgesehen von der Abgabestelle organisieren sie auch noch Kältebustouren und so viele andere Projekte. 

Die Damenboutique ist den ganzen Vormittag belagert, es muss immer mal wieder nachgeholfen werden, damit auch noch andere Damen zum Zug kommen. 

 

 

Weiter geht es mit Lagerräumen und dem Drogerie und Hygieneraum. Hier steht Tanja Froböse und empfängt die Menschen in ihrem stringent sortierten Drogeriemarkt. Vor der Türe befindet sich eine Steele mit zwei „Grabbelkisten“ aus denen sich die Menschen selbstständig Kleinigkeiten suchen können. Der Rest wird aus Hygienegründen von ihr verwaltet. Diese Station lässt niemand aus. Zahnpasta, Desinfektionsmittel, Duschgels, Haftcremes gehen über die Theke und wandern in die Tüten. Zwischendurch ist hier immer Zeit für einen Austausch. Tanja kennt die Menschen, sie weiß bei den meisten schon vorher was benötigt wird und betont auch nochmal die Wichtigkeit den Menschen eine Entscheidung zu überlassen, sich selbstständig Dinge aussuchen zu können. Deshalb sagt sie, sind diese Grabbelkisten auch so wichtig. 

 

Vor der Türe kommt Kilian an, Stammgast und seit Jahrzehnten Obdachlos.
Wenn man Kilian sieht, dann sieht man ihm nicht an das er seit sovielen Jahren auf der Platte lebt.

Offener Blick, er begrüßt sofort ganz freunschaftlich Jannik und draußen im Sonennlicht unterhalten sich mehrere Menschen darüber wie schön es ist, dass Jannik immer da ist.

„Der Jannik, der ist ein richtig Guter. Ja, kannst du dir ruhig mal anhören.“

Der Umgangston über den ganzen Morgen hinweg ist losgelöst, freundlich, offenherzig und besonders eines: extrem warm. 

Es ist ein herzliches Miteinander, dass diese Menschen hier schaffen und das sie genauso entgegengebracht bekommen. 

Selbst als einer der Gäste nicht wieder gehen möchte, regeln die anderen Gäste das mit ihm „Jetzt komm schon, lass die Tanja mal arbeiten, geh mal wieder raus“. 

Niemand der sich beobachtet fühlt, die Kamera scheint keinen zu stören „Die begleitet heute den Verein“ sagt man sich untereinander und damit ist das Thema vom Tisch. 

 


Kilians Shelterbag ist nass und dreckig geworden, Tanja und Katja überlegen ob und wie sie ihn waschen und trocknen könnten und entscheiden sich Kilian einen neuen Shelterbag zu geben. Er war der Erste, dem sie vor drei Jahren einen Shelterbag übergeben haben. Ein Rucksack in dem sich eine Jacke befindet mit abzipbarem Unterteil. Es ist ein mobiles Heim für Obachlose und Kilian hat seit Tag eins Feedback gegeben und schätzt diesen Rucksack sehr. Später zeigt er draußen nochmal ganz genau wie so ein Shelterbag funktioniert. „Das ist echt spitze, du hast alles dabei, er ist echt warm. Aber ein doppelter Reißverschluss im unteren Bereich wäre auch super. Oben gibt es jetzt schon einen Doppelten, das hatte ich bei den ersten Modellen direkt angemerkt“ sagt Kilian. 


Sabine und Jannik geben den Gästen die fertig sind und gehen wollen eine große Kiste Kekse mit und dann verabschieden sich langsam alle voneinander. 

Dieser Morgen fühlt sich an wie das betreten einer besseren Welt in der tristen Realität unserer Gesellschaft. Mehrfach kommt das Gefühl auf, dass alles einfacher wäre, wenn mehr Menschen so miteinander umgehen würden. 

Die Arbeit, die an diesem Morgen getan wurde ist wichtig.

Noch wichtiger ist aber das Miteinander und das absolute Selbstverstädnis mit dem diese Menschen für das brennen was sie tun und was durch Nähe und Miteinander geschaffen werden kann.